"MERKURBRUNNEN" IM TAL
   
Stadtbezirk 01 - Altstadt - Lehel
   
Bilder und Videos aufgenommen am 22.04.2021 und am 23.04.2022
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
   
Der "Merkurbrunnen" befindet sich in der Altstadt im Tal im Stadtbezirk 01 - Altstadt - Lehel. Man könnte ihn glatt übersehen, wenn man sich vom Alten Rathaus das Tal entlang auf den Weg zum Isartor macht. Stadtauswärts steht er am Eck zur Hochbrückenstraße, umschattet von einer Gruppe dichtbelaubter Platanen. Über einem runden Steinbecken schwebt der Götterbote auf einem Luftstrahl, der aus dem pausbäckigen Gesicht des Windgottes Zephyr aufsteigt. Eine Hand streckt er in den Himmel, während die andere Hand Richtung Erdboden zeigt, dabei seinen Heroldstab haltend, den von Schlangen umwundenen Caduceus. Dem kunstkundigen Blick entgeht natürlich nicht, dass diese schwerelose, sich tanzend in die Höhe drehende Gestalt ihr Vorbild in dem berühmten Merkur des Renaissance - Meisters Giovanni da Bologna („Giambologna“) in Florenz findet. Dieser Merkur stammt aus dem Jahre 1580. Die Idee zu diesem Brunnen hatte der Architekt Friedrich von Thiersch (1852 - 1921) im Jahre 1902. Gemeinsam mit dem Bildhauer Hugo Kaufmann, der eine gegenüber dem Original in Florenz um 20 cm kleinere Figur modellierte, realisierte F. von Thiersch die "Figura serpentinata" somit nochmals in München für einen Merkurbrunnen. Ursprünglich stand er neben dem Haus für Handel und Gewerbe in den wenig bekannten Eschenanlagen am Maximiliansplatz (etwa dort, wo sich heute ein anderer wenig bekannter Brunnen findet, der Nornenbrunnen). Dort wurde er am 2. August 1911 feierlich enthüllt. Einem nicht ganz unähnlichen Merkur begegnen wir in der Residenz, genauer gesagt im so genannten Grottenhof, den sich Herzog Wilhelm V. im 16. Jahrhundert gestalten ließ. Dort eilt Merkur durch die Lüfte und krönt dabei die künstliche Grotte, nach der dieser besonders zauberhafte Innenhof benannt ist – leider durch den Krieg arg in Mitleidenschaft gezogen. Auch hier haben wir es mit einem Götterboten zu tun, der mit einer Hand gen Himmel weist, mit der anderen zur Erde. Der Magier im Tarot wird häufig mit der entsprechenden Pose dargestellt. Das Geheimnis dieser Geste erklärt sich aus dem Zusammenhang, in dem Merkur hier abgebildet ist. Als Vermittler zwischen Himmel und Erde deutet er so seine Aufgabe als Botschafter des göttlichen Willens an – aber auch als Meister kosmischen Wissens, dass er auf die Erde bringt. In dieser Rolle wird er mit dem legendären Hermes Trismegistos gleich gesetzt, dem „dreimal großen Hermes“ aus Ägypten. Dieser besitzt in den Geheimwissenschaften eine alles überragende Autorität, denn in der ihm zugeschriebenen „Smaragdtafel“ überlieferte er in wenigen Sätzen die Grundlagen aller Weisheit, darunter: „Das, was oben ist, ist wie das, was unten ist. Und das, was unten ist, ist wie das, was oben ist. Damit das Wunder der Vereinigung geschehe.“ Oft verkürzt zu „wie oben – so unten“ ist dieser Spruch das Grundmotiv vieler okkulten Künste wie Astrologie und Alchemie – den hermetischen Künsten. Wilhelm V. war nachgewiesenermaßen ein großer Freund der hermetischen Wissenschaften, experimentierte selbst mit Alchemie herum. So wundert es nicht, dass er in seinem Grottenhof hermetische Symbolik einfließen ließ, allen voran natürlich den Merkur auf der Grotte. Die Grotte ist nämlich nichts anderes als ein altes alchemistisches Symbol für den Ort, an dem die große Verwandlung, die Transmutation des Unedlen in das Edle, mit Hilfe des Steins der Weisen geschehen muss. Über all diesen Prozessen wacht Merkur. Zurück zum Merkur im Tal. Auch er ist ein solcher Vermittler der Geheimnisse. Ist es da nicht ein schöner Zufall, dass man ihn unter Platanen gesetzt hat? Die Platane ist in der antiken Mythologie ein Baum, der alle Welten miteinander verbindet: Himmel, Erde und Unterwelt. So wie Merkur selbst, der nicht nur zwischen Himmel und Erde wandelte, sondern auch Zugang zur Unterwelt hatte und als Psychopompos die Seelen der Verstorbenen in den Hades geleitete. Natürlich ist Merkur auch der Gott der Händler, Kaufleute – und Diebe. Als Gott der geraden wie auch der krummen Wege besitzt er keine ethischen Grundsätze, sondern sorgt lediglich dafür, dass Verbindungswege entstehen, damit Dinge ihren Besitzer wechseln können – wie genau das vonstatten geht ist ihm erst einmal egal. Als diesen Merkur finden wir denn auch im Stadtbild an zahlreichen Stellen wieder, vor allen Dingen an Kaufhäusern und Banken, zum Beispiel am Oberpollinger oder an der Hypobank im Kreuzviertel. Der Merkur auf dem Brunnen in Tal mag vielleicht nicht mehr an seiner ursprünglichen Stelle stehen, doch als Gott der Wege hat er mit seiner Position an der alten Salzhandelsroute keine schlechte Wahl getroffen. Immerhin gehört das Tal zu jener Lebensader des Handels, die sich von Salzburg nach Augsburg quer durch bayerische Lande zog. München wurde schließlich durch den Handel mit dem Salz groß – und verdankt letztlich auch seine Gründung dem Handel, und damit keinem Geringeren als Merkur selbst. Wenn man den Merkurbrunnen aufsucht, sollte man sich also etwas Zeit nehmen, vielleicht einen Augenblick im Schatten der Platanen verweilen. Möglicherweise offenbart er einem eines der großen Geheimnisse, die er vermittelt. Aus einer kreisrunden Brunnenschale mit einem Durchmesser von 160 cm erhebt sich ein runder Zylinder, an dessen oberen Rand je vier Krümmer (ursprünglich aus dem aus Stein gehauenen Mäulern von vier Löwenköpfen) dem Becken das Wasser spenden. Auf dem Scheitel des Zylinders liegt der schon zur Figur gehörende Kopf des mit vollen Backen blasenden Windgottes "Zephyr". Die von ihm ausgeblasene Luft verschafft dem Merkur als "Gott des glücklichen Gelingens, der Träume und des Schlafes" den Senkrechtstart zur Weiterreise als vielfliegender Götterbote mithilfe von je einem kleinen Flügel an den Schuhen und von zwei Flügeln an seinem Hut.
Schwerstbeschädigung im Krieg und Neuaufstellung: Friedrich von Thiersch's Brunnenwerk steht jetzt im Tal (seit 1994 als Neuguss), an der Ecke zur Hochbrückenstraße, vor dem Eingang zur Mohrenapotheke. Der im Krieg durch Luftangriffe und Vandalismus ganz übel zugerichtete Merkur - Brunnen wurde im Jahre 1966, noch an den Eschenanlagen stehend, abgebaut und im städtischen Bauhof eingelagert. An eine erneute Aufstellung war vorerst nicht zu denken. Dem grazilen Merkur war ein großes Loch in die Brust geschossen und das Verbindungsglied zwischen Fußgelenk und Sockel abgesprengt worden. Das kreisrunde, schön geschwungene Brunnenbecken konnte nicht mehr verwendet und hätte neu gemacht werden müssen. Der kleine "Schutzpatron der Kaufleute und Diebe" aber sollte eine zweite Möglichkeit erhalten und in neuer Pracht an einem neuen Standort die Bürger der Stadt nicht nur mit seinem Wasserspiel beglücken. Von Februar des Jahres 1975 an bis Ende Oktober 1975 wurde der Brunnen einer kompletten Restaurierung unterzogen. Mit Hilfe des Kulturbaufonds und durch Spenden von über 270.000 DM gelang es den Handwerkern, Bildhauern und Steinmetzen fast alle Schäden zu beseitigen. Am Donnerstag, dem 6. November 1975, wurde vom damaligen Stadtbaurat Uli Zech der Merkur - Brunnen im Tal feierlich wieder enthüllt. Doch keine 18 Jahre danach, am 10. August 1993, vormittags zwischen 8 und 11 Uhr, wurde der “Gott der Kaufleute & Diebe“ vermutlich von Auftragsräubern geraubt, denn der Erlös von 60 kg Bronze "lohnt" eigentlich schon den Aufwand einer Sachbeschädigung nicht. Eine solche war möglicherweise bei der Vorbereitung des Raubes erfolgt. Denn ein Gießerei - Fachmann, der an der Restauration der Thiersch - Replik im Jahr 1975 beteiligt war, hatte einige Tage vor dem Raub am Fuß des Merkur einen Schaden unbekannter Ursache entdeckt und eine kostenfreie Reparatur angeboten. Dieses Angebot blieb aber damals im "Einlauf - Auslauf - System" der Stadt München hängen. Nach dem Raub aber erhielt die Kunstgießerei Otto Strehle in Winhöring, die 1975 - nach Vollendung der Restauration - den Merkur vollständig abgeformt hatte, jetzt sogleich und mittels einer Spende vom Landesverband des Bayerischen Einzelhandels in Höhe von von 22.000 DM den dringenden Auftrag zu einem neuen Bronzeguss, der dann schon am 18. Mai 1994 auf und in der Brunnensäule im Tal sicherer verankert werden konnte. Damit bekam der Friedrich - von - Thiersch - Merkur und damit Giambolognas „optische Auflösung der Statik von der Basis her“ die dritte Chance für ihren Verbleib in München. Am Brunnen erkennt man die Inschriften "Merkurbrunnen" und "Gestaltet 1902 von Friedrich von Thiersch". Es handelt sich hier um einen - Trinkwasser führenden - städtischen Brunnen und um ein Baudenkmal (D-1-62-000-6742).

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